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Für Geschichts­interessierte

Nach dem Kriege 1870/71 erlebte auch Ratzeburg einen wirtschaftlichen Aufschwung und das drückte sich in einer ständig wachsenden Bevölkerungszahl aus. Die Insel war bald zu klein und so wurde mehr und mehr die Langenbrücker Vorstadt besiedelt. Der Ortsteil St. Georgsberg gehört ja erst seit 1928 zu Ratzeburg. Die Vorstädter meinten bald festzustellen, dass die sie regierenden Ratsherren der Insel ihre Belange nicht hinreichend berücksichtigten. So traf man sich zwecks Gründung einer " Bürgerinitiative". Sie wurde unter der Bezeichnung "Verein Vorstädter Bürger zu Ratzeburg" am 17. Januar 1898 im Schützenhof aus der Taufe gehoben. Mit dem Kaufmann Wilhelm Schulz und dem Forstsekretär Carl Bohn an der Spitze trat fast jedes Vorstädter Familienoberhaupt dem Verein bei. Es ist interessant, die Namen der Gründungsmitglieder zu nennen, weil es sich hier um teilweise noch heute vorkommende typische Vorstädter Namen handelt. Und so hießen sie: 

Kaufmann Wilhelm Schulz
Forstsekretär Carl Bohn
Mühlenbesitzer Peter Glahmann
Kaufmann Heinrich Ladwig
Fabrikant Carl Köhnke
Gärtner Carl Straub
Arbeiter Julius Langhans
Oekonom (Landwirt) Christian Wulff
Gastwirt Christian Steffen
Stellmacher Dominicus Kähler
Oekonom Dettmann
Ackerbürger August Carlau
Arbeiter Emil Vieth
Schuhmacher Fritz Grassmann
Barbier W. Möller
Schmiedemeister Koltz
Arbeiter Johannsen
Bauunternehmer August Scharnweber
Schmiedemeister Haack
Arbeiter Fritz Langhans
Arbeiter Ed. Goetze
Arbeiter Heinrich Runge
Maurer Johannes Hormann
Zimmermann Fritz Langhans
Maurerpolier Wanzenberg
Gastwirt Fritz Warncke
Sparkassenrendant Peter Lahs
Gastwirt Ernst Dohrs
Dampfsägemeister Otto Friedrichsen
Schlachtermeister W. Möller
Gastwirt August Koop
Gärtnermeister Kahl
Ziegelmeister Krohse
Ackerbürger Wilhelm Busekist
Gastwirt Wilhelm Dölle
Oekonom Frahm
Tierarzt Wilhelm Kruse
Arbeiter F. Krohn
Ackerbürger A. Burmester
Dampfsäger F. Köhnke
Rentier von Bülow
Rentier Lüdemann
Gastwirt Fritz Fokuhl
Gärtner Hans Grassmann
Ackerbürger J. Hardekopf
Konditor Schnürlein
Bäcker August Lindemann
Mühlenbesitzer Schröder
Arbeiter Ludwig Laatz
Sekretär Lüdemann
Stellmacher Heinrich Willms
Schneider Lange
Maurerpolier Erdmann
Handelsmann Oldag
Fabrikbesitzer Otto Rautenberg
Schmied Johannes Schröder

Neben der Vertretung kommunaler Interessen stand jedoch auch die Geselligkeit hoch im Kurs. In jedem Jahr, meistens im Schützenhof, fand ein Wintervergnügen statt. Im Sommer erwanderte man die nähere Umgegend unserer schönen Stadt oder man machte einen Motorbootausflug auf dem See. Im Bereich der Kommunalpolitik befasste sich der Verein mit allen aktuellen Fragen und mischte auch tüchtig bei der Kandidatenaufstellung zur Stadtvertretung mit. Dabei ging es nicht immer friedlich zu und manchmal wurden auch lautstark Meinungsverschiedenheiten ausgetragen. So begann eine Versammlung um 19.30 Uhr und zog sich bis 1 Uhr Nachts hin. Bei Bier und Köm kam man so langsam in Stimmung. Jedenfalls konnten die Mitglieder sich 1928 in der Kandidatenfrage nicht einigen. So klirrte um Mitternacht plötzlich eine Fensterscheibe. Als Übeltäter hatte sich auf einer Sondersitzung der Maurermeister Hermann Rautenberg zu verantworten. Der jedoch bekam plötzlich eine ansteckende Verkühlung und erschien nicht. 3 Stunden berieten die Herren, was nun zu geschehen habe. - Zwei Jahre später war Rautenberg im Vorstand. -

Als Ratzeburg im Zeichen keimenden Umweltbewusstseins 1912 eine Ortssatzung gegen die Verunstaltung des Ortsbildes erlassen wollte, war der Vorstädter Bürgerverein geschlossen dagegen. Die Notwendigkeit eines Rathausneubaues ward aber anerkannt - was bis heute noch nicht durchgeführt ist.

1913 beschwerten sich die Mitglieder aus gutem Grund beim Magistrat darüber, dass die Gaslaternen schon um 1 Uhr Nachts gelöscht wurden. Man musste nach den Versammlungen im Dunkeln nach Hause gehen bzw. schwanken, denn um 1 Uhr war ja Polizeistunde. Der für die Vorstadt zuständige Polizeisergeant Küchenmeister sollte der Sicherheit der Bürger wegen auch in der Vorstadt wohnen, ergab eine weitere Magistratseingabe. Der Polizist reichte aber nicht aus. 1916 ward der "Wohllöbliche Magistrat" beschworen, sofort einen Polizeihund einzustellen. Die Felder in der Vorstadt wurden nachts heimgesucht und Kohl, Rüben und Kartoffeln verschwanden in großen Mengen. Es war ja Krieg. Verkehrsschlangen am Königsdamm führten 1930 gleichfalls zu einer Eingabe. Das hat sich aber bis heute nicht geändert.

Doch auch Eigeninitiative war gefragt. Man wollte etwas für die Jugend tun und zwar eine Eisbahn auf der Sedanwiese bauen. Alles war klar, die benötigte Summe konnte durch Zeichnung gesichert und kostenlose Fuhren der Unternehmer als Versprechen entgegengenommen werden. Als es dann ans Zahlen ging, hatte alles lange Beine. Der Kriegsausbruch 1914 war ein günstiger Anlass, die Sache erst einmal abzublasen.

Als Tat echten Bürgersinns und großer Opferbereitschaft Einzelner ist der Bau und die Unterhaltung einer eigenen Badeanstalt an der Schweriner Straße zu würdigen. Dazu wurde ein Tochterverein "Vorstädter Seebadeanstalt von 1907" ins Leben gerufen. Der Vorstand setzte sich aus den Herren Pauly, von Hinüber, Bohn, Heyck und Hoppstock zusammen. Die Badeanstalt war aber immer ein Zusatzgeschäft und nur durch laufenden freiwilligen Arbeitseinsatz bei den Reparaturarbeiten und durch Zuschüsse der Mitglieder war bis 1930 die lnbetriebhaltung möglich. Dann, am 17.5.1930 ergriff der "Vorstädter Bürgerverein" die Initiative und löste den Tochterverein auf. Jetzt klappte es unter der Badekommission mit den Herren Hoppstock, Beckmann, Karl Burmester, Fr. Meier, Peters, Wilhelm Möller und dem Vorsitzenden Lehrer Fritz Bahrs. Der Rentner Oelmann erklärte sich bereit, für 250 RM vom 17. Mai bis 15. September die Badeaufsicht zu führen.

Die NS-Zeit schien das Ende des Vereins zu bringen, wenn nicht ein Fitficus wie Lehrer Bahrs an der Spitze gestanden hätte. Er wandte alle Kniffe an, um das Weiterbestehen zu sichern. Schon am 8.7.1933 war der Untertitel des Vereinsnamens: "Kommunalpolitischer Verein" zu streichen. Am 23.1.1934 durfte nur noch nach dem Führerprinzip gewählt werden. Lehrer Bahrs wurde nun "Vereinsführer" und ernannte dann alle weiteren Vorstandsmitglieder, die natürlich mit den früheren personengleich waren. Der Aufruf, für die Winterhilfe zu spenden, verzeichnete ein Ergebnis von 1,75 RM! Am 5.1.1935 hatte der Vorstand zur Kreisleitung der NSDAP in Mölln zu marschieren, um in der NS-Kulturgemeinde aufzugehen. Dazu kam er aber nicht mehr, denn auf einer außerordentlichen Generalversammlung am Abend zuvor beschlossen die Mitglieder einstimmig, ihren bisherigen Verein aufzulösen. Am gleichen Abend gründeten sich jedoch erneut den Verein "Vorstädter Seebadeanstalt". Alle Anwesenden traten dem Verein bei, wählten einen Vereinsführer namens Fritz Bahrs. Selbiger berief dann alle alten Vorstandsmitglieder in den neuen Vorstand. Es nahm alles seinen gewohnten Gang mit Winterfest und Sommertest, der Betreuung der Badeanstalt und bei der schon 1924 gegründeten Totenkasse. Dazu gehörte auch die "Tragt". Alle männlichen Mitglieder bis zu 60 Jahren waren verpflichtet und zwar mit Zylinder, den Sarg eines verstorbenen Mitgliedes oder deren Ehefrau zu Grabe zu tragen.

1938 aber konnte Bademeister Oelmann aus Altersgründen nicht mehr. Zwar hatten die Herren Suderow und Röpnack die Badeanstalt gepachtet. Aber nach einen regenreichen Sommer wollten sie nicht mehr. Inzwischen war es Vorschrift nur einen gelernten Bademeister zu beschäftigen und dazu reichten die Finanzen des Vereins nicht. Für 2.500 RM kaufte daher die Reichswehrverwaltung die Badeanstalt. Löste sich jetzt der Verein mangels Aufgaben auf? Ja und nein. Der Verein "Vorstädter Seebadeanstalt" starb und ein neuer-Verein "Sparvereinigung der Vorstädter zu Ratzeburg" entstand. Nach dem Kriege, am 24.1.1948 trafen sich die alten Vereinsmitglieder wieder und unter dem alten Namen von 1898 besteht er noch heute.

Erwähnenswert ist noch, dass im Jahr 2014 im Vereinsvorstand auf Anregung des Vorstandsmitglieds Rolf Wolniewicz die Diskussion begann, ob es nicht besser wäre, den Verein ins Vereinsregister eintragen zu lassen, also ein eingetragener Verein zu werden. Die Gründe dafür waren im Wesentlichen, den handelnden Personen im Verein mehr Sicherheit in Haftungsfragen zu geben, denn bei einem nicht im Vereinsregister eingetragenen Verein wäre im Schadensfall möglicherweise die Person, die für den Verein tätig war und den Schaden verursacht hat, haftbar gewesen und nicht der Verein als Ganzes. Mit der Eintragung in das Vereinsregister kehrt sich dies um und jeder, der für den Verein tätig ist, bekommt die Sicherheit, dass er, insofern er nicht vorsätzlich handelt, für Schäden nicht persönlich haftbar gemacht werden kann. Das gesamte Eintragungsprozedere ins Vereinsregister zog sich nahezu zwei Jahre hin, verlief auch nicht immer geräuschlos, jedoch am 15. Juni 2016 war es dann endlich soweit, der Verein wurde ins Vereinsregister eingetragen und darf seitdem im Namen den Zusatz e. V. tragen.

Im Jahr 2023 stand der Vorstand des Vereins und damit der gesamte Verein vor einer großen Zerreißprobe, die fast zur Vereinsauflösung geführt hätte. Was war passiert? Während der Mitgliederversammlung am 5. März 2023 wurde, um das Niveau des Veranstaltungsprogramms aufrecht erhalten zu können, auf Antrag des Kassenwartes Bernhard Gätsch eine Beitragserhöhung beschlossen. Paare hatten nun 30,- Euro und Einzelmitglieder 20,- Euro Jahresmitgliedsbeitrag zu bezahlen. Eine Woche später fand eine Vorstandssitzung statt, auf der die 1. Vorsitzende Christiane Wolniewicz und der Internetbeauftragte Rolf Wolniewicz den Vorschlag machten, angesichts der sich abzeichnenden gut gefüllten Vereinskasse und der Tatsache, dass während der Corona-Krise viele Veranstaltungen ausfallen mussten, endlich die von den Mitgliedern stets gerne angenommene Herbstfahrt wieder in das Veranstaltungsprogramm für das Jahr 2023 aufzunehmen. Dieser Vorschlag wurde in der Sitzung kontrovers diskutiert, aber letztendlich konnten sich insbesondere der Kassenwart und die 2. Vorsitzende, Frau Pamela Carlson, nicht mit dieser Idee anfreunden, da sie der Meinung waren, dass das Geld für eine Herbstfahrt besser in andere Veranstaltungen investiert werden sollte. So drängte Frau Carlson in aller Eile auf eine Abstimmung, mit dem Ergebnis, dass die Herbstreise leider sehr schnell mehrheitlich im Vorstand ad acta gelegt wurde. Der Internetbeauftragte des Vereins, Rolf Wolniewicz, wollte sich mit der holterdiepolter herbeigeführten Abstimmung, einer Entscheidung gegen die Interessen der Vereinsmitglieder und gegen die Ziele des Vereins, nicht zufriedengeben und schlug vor, eine Meinungsumfrage zur Herbstfahrt unter den Vereinsmitgliedern durchzuführen. Diese Meinungsumfrage führte der Internetbeauftragten durch und wurde daraufhin vom Vorstand mit Ausnahme der 1. Vorsitzenden, die diese Umfrage deckte, sehr heftig kritisiert, da es sich aus der Sicht der Vorstandsmitglieder, die gegen die Herbstreise stimmten, um eine eigenmächtige, nicht autorisierte Aktion handelte und sie immer wieder darauf hinwiesen, dass auch der Internetbeauftragte einen Mehrheitsbeschluss anerkennen müsse. Die Umfrage zur Herbstfahrt bei den Vereinsmitgliedern erbrachte letztlich kein repräsentatives Ergebnis, führte aber zu einem in der Vereinsgeschichte bisher beispiellosen Zerwürfnis unter den Mitgliedern des Vorstands, was wiederum dazu führte, dass reihenweise Vorstandsmitglieder ihre Ämter niederlegten oder sogar ganz aus dem Verein austraten. Die Rettung aus dieser Krise brachte schließlich eine außerordentliche Mitgliederversammlung am 14. April 2024, in der sich ein neuer Vorstand unter der Leitung von Frank Gauglitz konstituierte, allerdings ohne die Eheleute Rolf und Christiane Wolniewicz, die an diesem Tag ihren Austritt aus dem Verein erklärten.

Es seien noch die Vorsitzenden erwähnt: 1898 Wilhelm Schulz, 1907 Carl Sohn, 1916 Fritz Gressmann, 1929 Fritz Bahrs, 1963 Richard Jurkowski, 1974 Erwin Wilms, 1998 Dietrich Ruth, 2012 Heinz Suhr, 2022 Christiane Wolniewicz. Ab 2024 Frank Gauglitz. Als Stellvertreter fungierten: Carl Bohn, Fritz Gressmann, Hermann Rautenberg, Carl Mollenhauer, Hugo Erdmann, Richard Jurkowski, Hermann Jansen und Karl Hagen, Dieter Martens, Astrid Buck, Christiane Wolniewicz, Pamela Carlson, Harald Buck.
 
Quelle: Buch "750 Jahre Vorstadt - Dermin 1230 - 1980", Herausgeber: Stadt Ratzeburg, Kapitel: Der Verein "Vorstädter Bürger zu Ratzeburg" von Isfried Hunstock